Griechenland - Wiege unserer Kultur

Griechenland Athen - heute morgen bin ich hier angekommen in dieser Stadt, die einst der Mittelpunkt der antiken Welt war und heute pulsierende Hauptstadt des modernen Griechenlands ist. Da sitze ich nun im Schatten der Marquise eines Kafenions am Omonia-Platz, dem Platz der Einheit, und freue mich auf einen griechischen Kaffee. Der "garssoni", der Ober, stellt mir ein Tässchen mit dem Kaffee und ein Glas herrlichen kühlen Wassers auf den Tisch. Endlich wieder Griechenland! Nach den vergangenen Regentagen in Deutschland nun blauer Himmel, Sonne, Wohlgefühl. Ich nehme einen tiefen Schluck von diesem köstlichen frischen Wasser, dann probiere ich den schwarzen süßen Kaffee, der die müden Lebensgeister wieder weckt.

Ich lasse die Eindrücke auf mich wirken: Rundherum Hotels, Restaurants, Cafeterias, Geschäfte. Von hier aus laufen die Straßen sternförmig in alle Richtungen der riesigen Stadt. Nicht nur in diesem Geschäftszentrum geht es so laut und hektisch zu, sondern ganz Athen ist für Einheimische und Besucher anstrengend und entnervend.

Belastend wirkt sich weiterhin die Luftverschmutzung, verursacht durch Industrieanlagen und Autoabgase, auf die Befindlichkeit der Menschen aus.

Inzwischen sind die Schatten länger geworden, und die Mittagshitze beginnt nachzulassen. Das Kafenion hat sich gefüllt. An einigen Tischen diskutieren Männer lebhaft Tagesereignisse, an anderen spielt man Tavli. Das Kaffeehaus nimmt für den Griechen eine wichtige Rolle im täglichen Leben ein. Neben dem Getränkeausschank hat das Kafenion eine soziale Funktion als Ort der Begegnung, des Gesprächs und des Spiels.

Der erste Tag in Athen führt mich in das Archäologische Nationalmuseum, das eine der bedeutendsten Antikensammlungen der Welt beherbergt. Es bietet einen einzigartigen Einblick in die Gesamtentwicklung der griechischen Kunst von der Kykladenkultur (3. Jahrtausend v. Chr.) über die mykenische Epoche (2. Jahrt. v. Chr.) bis zur archaischen und klassischen (6. bis 4. Jahrh. v. Chr.) und hellenistischen (4. und 3. Jahrh. v. Chr.) Kunst.

Geschichtlich-kulturelle Entwicklung Griechenlands

Griechische Geschichte im Altertum betrifft nicht nur das eigentliche Griechenland - also den südlichen Teil der Balkanhalbinsel -, sondern bezieht auch immer die Küsten und Inseln der Ägäis ein. Die geringen Entfernungen der Inseln von den Festlandsküsten hatten zur Folge, dass die Menschen in diesem Raum schon früh weitreichende Beziehungen aufnahmen und dass bereits in frühgeschichtlicher Zeit fremde Kultureinflüsse auf griechischem Boden bemerkbar wurden, insbesondere solche aus dem alten Orient. Vor der Einwanderung indogermanischer Stämme nach Griechenland lebten hier Völkerschaften, die wahrscheinlich aus Kleinasien stammten und eine beachtliche Kultur aufwiesen.

Licht in das Dunkel dieser Zeit brachten zwei Archäologen: Heinrich Schliemann, der Mykene ausgrub, und Sir Arthur Evans, der die minoische Palastanlage von Knossos auf Kreta entdeckte und teilweise rekonstruierte. So spricht viel für die Annahme, dass Mykene im 2. Jahrtausend v. Chr. das Zentrum eines achäischen Großreiches war. Vor allem lassen darauf die Anlage der Burg, die Schatzhäuser und die mit kostbarem Schmuck ausgestatteten Schachtgräber schließen. Nicht zuletzt spricht auch Homer, in dessen Dichtungen die historischen Details sich als erstaunlich zuverlässig erwiesen haben, von Agamemnon, dem König von Mykene, als dem Heerführer aller Griechen.

Viel älter noch ist die kretische oder minoische Kultur, deren Anfänge am Beginn der Bronzezeit in der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. liegen. Völlig zurecht gelten die minoische und die mykenische Kultur als die ersten großen Hochkulturen Europas.

Die eigentliche Geschichte der Griechen beginnt am Ende der mykenischen Kultur, die während der sogenannten "Ägäischen Wanderung" durch die auf dem Peloponnes vordringenden Dorer und Nordwestgriechen vernichtet wurde. Nach den großen Wanderungen bildeten sich junge Staaten. Über sie ist allerdings wenig bekannt.

Die archaische Zeit - von 8OO bis 5OO v. Chr. - brachte entscheidende politische Umschichtungen durch die Abschaffung der Königsherrschaft in den meisten griechischen Staaten. Die Demokratie löste allmählich die aristokratische Ordnung ab. Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts wurden sich die griechischen Stämme, trotz aller Verschiedenheiten immer mehr einer großen Volkseinheit bewusst. Sie fühlten sich als Hellenen mit gleichen Göttern, gleichen Kulten und auch bereits gleichen außenpolitischen Interessen. Glanzvolle Zeichen dieses bestimmenden Grundgefühls waren die alle vier Jahre stattfindenden Olympischen Spiele, das allen Griechen gehörende Delphische Orakel und die große Kultstätte für den Lichtgott Apollon und andere Gottheiten auf der Insel Delos. Nicht zuletzt trug auch die Kolonisationsbewegung, schon im 8. Jahrhundert beginnend, zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls aller Hellenen bei. Es entstanden Stadtsiedlungen an den Küsten Siziliens, Apuliens und Kalabriens, in Makedonien und Thrakien, am Marmarameer und am Schwarzen Meer, in Spanien und Südfrankreich, von Griechen gegründet. Sie alle blieben sich mehr oder weniger ihres Hellenentums bewusst. In Syrakus, an der Mittelmeerküste von Spanien, am Hellespont und an der gesamten kleinasiatischen Küste wurde griechisch gesprochen wie in Hellas selber. Auch dort bauten die Griechen Tempel und Theater, die nicht anders aussahen als in Attika und Korinth.

Die griechische Geschichte ist allerdings dadurch gekennzeichnet, dass trotz des immer stärker werdenden und raumgreifenden Hellenentums nie ein nationaler Einigungswille spürbar wurde. In der klassischen Zeit (5OO - 38O v. Chr.) gab es zwar Machtkämpfe zwischen den größten Staaten in Hellas, aber ein absoluter Machtanspruch wurde nie gefordert, weder von Athen noch von Sparta, den großen Kontrahenten jener Zeit. Erst der makedonische König Philipp II. schuf 337 v. Chr.einen großen Hellenenbund, den Korinthischen Bund. Er war als Angriffswaffe gegen das Perserreich gedacht. Philipp II. fiel durch Mörderhand. Sein Nachfolger, Alexander der Große, brach zur Eroberung des Perserreiches auf. Durch seine Kriegszüge wurde griechische Kultur bis nach Indien getragen und beherrschte in den folgenden Jahrhunderten als hellenistische Kultur Morgen- und Abendland.

In der Zeit des Hellenismus (338 bis 31 v. Chr.), also der Zeit des politischen Niedergangs und der Fremdherrschaft, entfaltete die griechische Kultur eine selbständig wirkende Kraft, die das geistige und künstlerische Leben der gesamten damaligen Welt wesentlich prägte. Dies gilt auch insbesondere für das Römische Reich, das sich von etwa 2OO v. Chr. an Griechenland völlig untertan machte. Griechische Kunst war in Rom sehr geschätzt. Sie beeinflusste dort alles künstlerische Schaffen. Einflussreiche Römer wie die Kaiser Trajan und Hadrian unterstützten wissenschaftliche Einrichtungen und errichteten repräsentative Bauten, vor allem in Athen. Doch der griechische Geist schuf nichts Neues mehr. Er begnügte sich damit, frühere Schöpfungen nachzuahmen. Der Glaube an die alten Götter versiegte. Theater und Festspiele wurden dadurch ihres tieferen Sinnes beraubt. Der Geist und die Kraft der Antike erloschen endgültig. Das Land, das wir zurecht als "Wiege der abendländischen Kultur" rühmen, wurde nun Spielball politischer Mächte für einen Zeitraum von achtzehn Jahrhunderten.

Bei der Teilung des Römischen Reiches im Jahre 395 n. Chr. kam die römische Provinz Achaja zu Byzanz, das diesem exponierten, während der Völkerwanderung verwüsteten, von benachbarten slawischen Völkern oft überfallenen und im 9.Jahrhundert auch von Arabern heimgesuchten Gebiet keine besondere Bedeutung beimaß.

Im 6.Jahrhundert schloss Kaiser Justinian die heidnischen Philosophenschulen Athens. Die griechischen Tempel wurden entweder zerstört oder in Kirchen umgewandelt, so der Parthenon in die Kirche der Aghia Sophia (Heilige Weisheit) und ab dem 1O.Jahrhundert der Panaghia Athiniotissa (der Athenischen Gottesmutter). Aus dem Hephaistos-Tempel, dem Theseion, wurde die Georgs-Kirche.

Auch die Bulgaren herrschten zeitweilig über das griechische Festland; dann folgten die Normannen im 11. Jahrhundert. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer im Jahre 12O4 ging auch Griechenland den byzantinischen Kaisern verloren. Es wurde in christliche Lehnstaaten aufgeteilt. Die Venezianer und Genueser sicherten sich an den Küsten und auf den Inseln eine Reihe wichtiger Stützpunkte.

Athen geriet im 13. und 14.Jahrhundert nacheinander unter fränkische (1204 - 1311), katalanische (1311 - 1387) und florentinische (1387 -1458) Herrschaft. Als 1453 die Türken Konstantinopel eroberten, begann auch für Griechenland mit der Besetzung Athens im Jahre 1456 eine fast 400-jährige Türkenherrschaft. Diese Jahrhunderte gehören zu den düstersten in der griechischen Geschichte, denn die Türken führten ein wahres Schreckensregiment und ließen das Land völlig verfallen. Die osmanischen Herren waren lediglich darauf bedacht, sich rücksichtslos zu bereichern. Die Griechen waren nur noch eine geknechtete Unterschicht. Bewundernswert ist, dass in ihnen trotzdem das Nationalbewusstsein und der Widerstandsgeist nicht verloren gingen. Auf Dauer konnte die fremde türkische Oberschicht den Freiheitsdrang der Griechen auch nicht mit brutalsten Gewaltmethoden niederhalten. Der griechisch-orthodoxe christliche Glaube, die einheitlich gebliebene Sprache und die Tradition beflügelten die Freiheitskämpfer in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Es gelang ihnen trotz aller Rückschläge und der anfangs geringen Unterstützung durch die auswärtigen Mächte, den türkischen Halbmond von den Moscheen herunterzureißen. Der Ablauf des Freiheitskampfes zeigte sich im Wachsen des neuen griechischen Staates, der sich vom Peloponnes allmählich nach Norden hin ausdehnte.

Die Großmächte erklärten 1830 Griechenland zum souveränen Königreich. Der bayrische Prinz Otto wurde erster griechischer König. 1835 wurde Athen zur Hauptstadt ernannt und im klassizistischen Stil wieder aufgebaut; außerdem wurden die antiken Bauten auf der Akropolis rekonstruiert.

Erst im Jahre 1913 konnten sich als letzte Nordmakedonien und die Insel Kreta wieder dem Mutterland anschließen. Die seit 1912 von den Italienern besetzten Inseln Rhodos und des Dodekanes wurden erst 1947, nach dem zweiten Weltkrieg, an Griechenland zurückgegeben.

Der heutige Griechenlandreisende lernt einen Staat kennen, der mit vollem Recht politisch und wirtschaftlich seinen Platz in Europa beansprucht. Das war in den letzten 25 Jahren nicht immer so. Aufgrund innenpolitischer Auseinandersetzungen übernahmen am 21. April 1967 Militärbefehlshaber die Macht. Die Staatsverfassung wurde suspendiert, jede Parteiarbeit verboten; der König ging ins Exil. Die westeuropäischen Staaten waren um das demokratische Image der europäischen Institutionen besorgt. Das führte zur Unterbrechung der Verhandlungen Griechenlands in die Europäische Gemeinschaft und zum Ausschluss der Juntavertreter aus dem Europarat. Nach dem Zusammenbruch der Diktatur kehrte Griechenland 1975 zur Republik mit demokratischer Verfassung zurück. 1981 nahm die Europäische Gemeinschaft das Land als Vollmitglied auf.

Griechenland - Wiege unserer Kultur?

Die geographische Lage, die großen Entdeckungen des Geistes und der Technik, dazu Landhunger und die Freude am Handel, aber auch jener Hang zum Abenteuer, der oft bei seefahrenden Völkern anzutreffen ist, führten dazu, griechische Kultur im ganzen Mittelmeerraum zu verbreiten.

Die europäische Renaissance, Wiedergeburt des antiken Geistes und der Künste, entdeckte die alte griechische Kultur neu. Wissenschaft und Kunst, Mythologie und Literatur, nicht zu vergessen die Architektur dieser alten Welt wurden durch die Renaissance zum Hintergrund eines neuen Welt- und Menschenbildes verklärt. So hat eine kleine zerklüftete Halbinsel im nordöstlichen Mittelmeer mit seinen in der Ägäis verstreuten Inseln die geistige Gestalt Europas geprägt, stärker als jede andere antike Kultur und das bis auf den heutigen Tag.

Peter Bamm drückt es so aus: "Der Sinn für Maß, diese eigentümliche Begabung für Harmonie, gehört zum Wesen der griechischen Kultur. Er ist das Vermächtnis des begabtesten Volkes der Geschichte an alle Kulturen, die nach ihm gekommen sind."
(Peter Bamm: An den Küsten des Lichts)

Nikos Kazantzakis, einer der großen Söhne Griechenlands des 20. Jahrhunderts, sagt von seinem Land: " ... haben wir die Kraft und die Zeit gefunden, der Welt die beiden wertvollsten Güter zu schenken: Freiheit der Seele und Klarheit des Geistes."